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Frau- en sind familien-, Männer karriereori- entiert – dieses Klischee ist älter als die Diskussion um den Gender-Pay-Gap, also das geschlechtsspezifische Lohn- gefälle. Ebenso verbreitet ist eine ande- re verhandelten schlechter um Geld und Aufstieg als Männer und seien deshalb mit schuld an niedrigeren Löhnen. Diese These wird allerdings durch verschiedene wissenschaftliche Studien untermau- ert. Männer verhandeln tatsächlich er- folgreicher als Frauen. Frauen 19 Prozent brutto verdienten Frau- en 2019 in Deutschland im Schnitt we- niger als Männer. Auch wenn der Wert im letzten Jahr erstmals unter die 20- Prozent-Marke gefallen ist, verläuft die Aufholjagd im Schneckentempo: In den vergangenen 13 Jahren ist er gera- de einmal um 4 Prozentpunkte gesun- ken. Damit bildet Deutschland mit Estland das Schlusslicht in Europa. Schließt sich die Lohnlücke weiter in diesem Tempo, wird es noch 65 Jahre dauern, bis die Gehaltszettel fair sind. Nach dem Willen der Bundesregie- rung soll es wenigstens etwas schnel- ler gehen: Sie hat sich zum Ziel gesetzt, den Verdienstabstand bis zum Jahr 2030 auf 10 Prozent zu senken. Laut Uta Zech, Präsidentin des Ver- bands Business and Professional Wo- men (BPW), lassen sich die Ursachen für den Gender-Pay-Gap vor allem in strukturellen Problemen verorten – et- konfrontiert sind: Sie werden Opfer statistischer Diskriminierung. Das ist der Fall, wenn von einem beobachtba- ren auf ein nicht beobachtbares Merk- mal geschlossen wird – beispielsweise, wenn von Frauen im gebärfähigen Al- ter pauschal angenommen wird, dass sie früher oder später in Elternzeit ge- hen. „Das Problem ist: Für Arbeitgeber ist das durchaus rational, für Frauen natürlich schlecht“, sagt Combet. Um dieser Denkweise entgegenzu- wirken, bräuchte es mehr Anreize für Männer, in Elternzeit zu gehen. Das El- terngeld plus sei ein erster Schritt, so Combet. Das sieht auch Uta Zech so, fordert darüber hinaus aber auch mehr Gehaltstransparenz, angepasste Tarifverträge und die Ausweitung der Frauenquote auf Vorstandsebene. „Nicht die Frauen müssen sich verän- dern, sondern die Unternehmen, die Politik und die Gesellschaft“, sagt sie. Bis jedoch das letzte Unternehmen für diese Themen sensibilisiert ist, sit- zen Frauen bei Gehaltsverhandlungen in der Zwickmühle: Nicht sie verhan- deln schlechter als Männer, ihr Gegen- über verhandelt schlechter mit ihnen als mit Männern. Und das Wissen dar- um verstärkt das Problem noch. In der Wissenschaft nennt man das Stereoty- pe Threat. Peter Fischer erklärt das an- hand des alten Matheklischees: „Mäd- chen sind nicht schlechter in Mathe- matik als Jungs. Ihre Abiturnoten sind sogar besser. Wenn man Mädchen aber an dieses Stereotyp erinnert, ver- schlechtert sich die Leistung tatsäch- lich ein wenig, weil sie abgelenkt sind. Stereotype Threat beansprucht in Leis- tungssituationen viel kognitive Ener- gie.“ Auch deshalb dürfe man sich als Frau nicht in die Opferrolle begeben, so Uta Zech: „Das Mindset ist bei Ge- haltsverhandlungen wichtig – es be- fördert oder verhindert“, sagt sie. Auch Fischer macht Mut: „Geschlechterste- reotype spielen eher bei älteren Men- schen eine Rolle und werden sich lang- sam aber sicher auswachsen.“ In Gehaltsverhandlungen schneiden Frauen oft schlechter ab als Männer. Foto: palidachan - stock.adobe.com wa in der fehlenden Gehaltstranspa- renz in Betrieben oder der Unterbezah- lung in frauentypischen Branchen wie Pflege und Erziehung. „Verhandlungs- geschick spielt bei all dem eine unter- geordnete Rolle“, sagt sie. Frauen unterschätzen sich Die Frage, warum Männer „besser“ verhandeln, bleibt dennoch. Die Ant- wort ist mehrschichtig: „Zwischen den Geschlechtern gibt es keinerlei kogni- tive oder affektive Unterschiede“, sagt Prof. Dr. Peter Fischer, Inhaber des Lehrstuhls für Sozial-, Arbeits-, Organi- sations- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Regensburg. Er kön- ne sich höchstens vorstellen, dass sich Frauen schneller zufriedengeben als Männer. „Männer schätzen ihre Leis- tung höher ein, Frauen tendieren da- zu, sich zu unterschätzen.“ Der Grund dafür liege wiederum in den Ge- schlechterstereotypen: Während man bei Jungs Raufen mit Durchsetzungs- vermögen assoziiere, lege man Mäd- chen dasselbe Verhalten negativ aus. Kinder wurden – und werden ein Stück weit immer noch – verschieden sozialisiert. Die daraus entstehenden Zuschreibungen prägen das Denken bis ins Erwachsenenalter, in den Be- rufsalltag und eben auch bis in Ver- handlungsgespräche hinein. Die Krux: Gerade in Verhandlungssituationen sind Eigenschaften gefragt, die Män- nern positiv und Frauen negativ aus- gelegt werden. Studien belegen, dass aggressiv ver- handelnde Frauen schlechter ab- schneiden als zurückhaltende Kolle- ginnen. „Gesellschaftliche Normvor- stellungen spielen im Berufsleben eine große Rolle“, sagt Uta Zech. „Frauen, die tough auftreten, gelten als nicht weiblich, also auch nicht als authen- tisch. Das wird in Führungspositionen aber vorausgesetzt. Und verhandeln sie nicht tough, sind sie auch drau- ßen.“ Deshalb sei es wichtig, Personal- verantwortliche für unbewusste Vor- urteile zu sensibilisieren. Das ist aller- dings nicht einfach, gibt Dr. Benita Combet, Vertretungsprofessorin für Empirische Sozialforschung an der Universität Konstanz zu bedenken. Die Macht der Stereotype „Das Problem liegt an den unbewus- sten Stereotypen, die wir alle bis zu ei- nem gewissen Grad teilen, weil wir mit eher konservativen Gendernor- men erzogen wurden“, sagt sie. Es sei schwierig, zu verhindern, dass solche Stereotype aktiviert werden. „Aber wenn man sich der Problematik be- wusst ist, kann man sich als Individu- um kritisch hinterfragen.“ Und es gebe auch institutionelle Herangehenswei- sen, um diese Problematik zumindest zu entschärfen – zum Beispiel, wenn die Gehaltsspanne, über die verhan- delt wird, mitgeteilt wird. „Hohe Ge- haltsforderungen von Frauen werden dadurch als weniger unverschämt wahrgenommen“, sagt Combet. Und sie führt noch ein weiteres Problem an, mit dem Frauen in Verhandlungen INTERVIEW Dr. Benita Combet, Vertretungsprofessorin für Empirische Sozialforschung an der Universität Konstanz Was Frauen „dürfen“ – und was nicht Geringerer Gap im Osten BERLIN. Laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts ist der unbereinigte Gender Pay Gap in Westdeutschland nach wie vor fast dreimal so hoch wie in Ostdeutschland. So ist die geschlechtsspezifische Lohnlücke im Westen 2019 um einen Prozentpunkt auf 20 Pro- zent gesunken, während sie im Osten mit 7 Prozent unverän- dert blieb. Für Gesamtdeutsch- land ergibt das einen Wert von 19 Prozent. Im europäischen Vergleich, für den die aktuells- ten Ergebnisse aus dem Jahr 2018 stammen, lag Deutsch- land mit 20 Prozent deutlich über dem EU-Durchschnitt von 15 Prozent – „getoppt“ nur von Estland mit 22 Prozent. Die ge- ringsten geschlechtsspezifi- schen Unterschiede im Brutto- stundenverdienst hatten Lu- xemburg mit 1 Prozent, Rumä- nien mit 2 Prozent sowie Itali- en mit 4 Prozent. (mn) Frau Doktor Combet, verhandeln Frauen wirklich anders als Männer, wenn es ums Geld geht? Dr. Benita Combet: Ja, tatsächlich. Frauen initiieren Gespräche über Lohnverhandlungen deutlich selte- ner. Und wenn sie es machen, for- dern sie niedrigere Gehälter ein als Männer. Aber das Klischee, dass Frauen mehr Lohn bekommen wür- den, wenn sie besser verhandeln würden, stimmt so nicht. Wie lassen sich die Unterschiede beim Verhandeln erklären? Bei vielen Geschlechterfragen spie- len biologische und gesellschaftliche Hintergründe zusammen, doch bei Gehaltsverhandlungen sind vor al- lem gesellschaftliche Normen aus- schlaggebend. Wir wissen, dass Frau- en genauso erfolgreich verhandeln wie Männer, wenn sie es nicht für sich selbst tun, sondern für andere – etwa für ihnen Unterstellte. Da gibt es plötzlich keine Geschlechterunter- schiede mehr. Deshalb kann es nicht an biologischen Faktoren liegen. Woran liegt es dann? Und warum ver- handeln Frauen für andere erfolgrei- cher als für sich selbst? ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● „Frauen, die so aggressiv auftreten wie Männer, werden als unsympathischer wahrgenommen (...).“ Dr. Benita Combet Das liegt an den tradierten Gender- rollen, also den Vorstellungen, wie sich Frauen und Männer vermeint- lich zu verhalten haben. Für Männer ist es okay, wenn sie sich eher aggres- siv geben, dominant auftreten und Forderungen stellen. Frauen sollen zurückhaltend agieren. Sie sollen sich um andere kümmern und das Gemeinwohl im Auge haben. Und das passt natürlich wunderbar zur stellvertretenden Verhandlungssitu- ation. Verhandeln Frauen für sich selbst, clasht das mit der Genderrolle. Aber braucht es in Verhandlungen für andere nicht auch ein „frauenuntypi- sches“, dominantes Verhalten? Frauen „dürfen“ mittlerweile selbst- bewusst auftreten. Das ist völlig in Ordnung, solange sie es in der Fürsor- gerolle tun. Für das Gemeinwohl können sie sehr wohl fordernd auf- treten, aber nicht für sich selbst. Das wird ihnen als Egoismus ausgelegt. Bei Männern ist das nicht so. Das bedeutet, dass sich Frauen in Ver- handlungen selbst schaden, wenn sie fordernd auftreten? Ja. Frauen, die so aggressiv auftreten wie Männer, werden als unsympathi- scher wahrgenommen und erhalten tatsächlich einen geringeren Lohn als Frauen, die dem Genderstereotyp entsprechend verhandeln und nett lächeln. Das hat man in wissen- schaftlichen Experimenten mit Schauspielern herausgefunden. Wie gehen Sie persönlich in Verhand- lungsgespräche? Mit dem Bewusstsein, wie völlig un- fair die ganze Situation ist und dass ich dagegen nicht viel machen kann. Es kommt natürlich auch immer sehr stark auf das Gegenüber an. Bei einem jüngeren Personalverantwort- lichen würde ich aggressiver verhan- deln als bei einem älteren und bei- spielsweise nach der Gehaltsspann- weite fragen. Ich würde versuchen, den Raum zu lesen und zu schauen, wie die Personen auf mich reagieren. Aber wenn mein Gegenüber nun mal dieses Bias hat, dass Frauen sich zu- rückhalten sollen, bin ich sehr, sehr hilflos und kann nichts machen – au- ßer nett sein und lächeln. Das ist sehr frustrierend, weil ich die Dynamiken ja sehr gut kenne. Interview: Jonas Raab Foto: Yves Schüpbach